Medienmitteilung vom 10. Juni 2006

Tagung "Forschung mit (Mit)Menschen" des Vereins patienten.ch

Menschenwürde nicht nur in der Forschung, sondern Patientenrechte generell verankern

An einer Tagung von Patientenorganisationen über die "Forschung mit (Mit)Menschen" vom Samstag in Olten präsentierte der Verein patienten.ch am Wochenende einen neuen umfassenden Verfassungsartikel über die Achtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte von der Diagnostik über die Behandlung bis zur Forschung mit Menschen. In der Antwort auf die Vernehmlassung zur Regelung der Humanforschung verlangt der Verein patienten.ch als Dachorganisation der unabhängigen Patienten- und Betroffenenorganisationen eine Ombudsstelle und die Respektierung des Rechts auf Wissen und des Rechts auf Nicht-Wissen. Die teilnehmenden rund 20 Patienten-organisationen unterstützen insbesondere die Zweckerweiterung und die Schaffung einer Ombudsstelle. Die Generalversammlung des Vereins patienten.ch verabschiedete die Stellungnahme an das Bundesamt für Gesundheit einstimmig.

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Download Stellungnahme des Vereins patienten.ch zu den Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen über die Forschung am Menschen

Basel/Olten. Bei der Präsentation der Vernehmlassung zur Humanforschung betonte der Verein patienten.ch, dass die vom Parlament und vom Bundesamt für Gesundheit verwendete Formulierung "Forschung am Menschen" durch die Verwendung von "am" das Bild der Forschung vermittle, die an einem zum Objekt degradierten "Menschen" etwas ausprobiert.

Forschung mit Menschen" statt "am Menschen"

Diese Grundhaltung widerspricht nach Ansicht des Vereins patienten.ch fundamental der Menschenwürde von Studienteilnehmern und dem Sinn und Geist des vorgeschlagenen Verfassungsartikels. In der Vernehmlassung an das Bundesamt für Gesundheit wird deshalb verlangt, künftig konsequent die Formulierung "Forschung mit Menschen" zu übernehmen und damit bereits im Titel der Erlasse klar auszudrücken, dass Patientinnen und Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen, dies als Partner von Forschung und Medizin tun.

Für eine einheitliche Bundeslösung

Der Verein patienten.ch spricht sich für eine einheitliche, umfassende und abschliessende Bundeslösung aus. Der gewählte Weg mit einer Kompetenzregelung und dem Festhalten von Grundsätzen im Verfassungsartikel wird begrüsst. Die bisherigen verzettelten Bestimmungen werden im erläuternden Bericht des Eidgenössischen Departementes des Innern zu Recht als unbefriedigende rechtliche Regelung bezeichnet.

Erweiterung des Geltungsbereiches generell auf Patientenrechte

Der Verein patienten.ch begrüsst zwar die Bundeslösung für die Forschung mit Menschen, verlangt jedoch, dass die elementaren Grundsätze wie die Achtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte nicht nur für die Forschung, sondern generell bei Untersuchungen, Diagnostik, Behandlung, Pflege und Wiedereingliederung gelten müssen. Deshalb wird vorgeschlagen, den Geltungsbereich der Grundsätze zu erweitern und die Regelung der Forschung mit Menschen in einen neuen Verfassungsartikel 118a über Patientenrechte zu integrieren.

Neuer Verfassungsartikel über Patientenrechte

In Anlehnung an den Vorentwurf vom 1.2.2006 für einen Bundesbeschluss zu einem Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen schlägt der Verein patienten.ch in seiner Vernehmlassung zur Regelung der Humanforschung folgenden neuen Bundesverfassungsartikel 118a Patientenrechte vor:

1. Der Bund erlässt Vorschriften über die Patientenrechte und sorgt dabei insbesondere für die Achtung der Menschenwürde und für die Einhaltung der Persönlichkeitsrechte bei Untersuchungen, Diagnostik, Behandlung, Pflege und Wiedereingliederung sowie bei der Forschung mit Menschen.

2. Bei der Forschung mit Menschen müssen unter Beachtung der Forschungsfreiheit folgende Grundsätze eingehalten werden:

a.) Forschung mit Menschen darf nur durchgeführt werden mit einer Einwilligung nach vorgängiger, umfassender und verständlicher Aufklärung über Chancen und Risiken.

b.) Eine unabhängige Instanz mit Vertretern aus Wissenschaft, Forschung, Medizin und Patientenorganisationen überprüft bei allen Forschungsprojekten mit Menschen, ob die Rechte der teilnehmenden Personen gewährleistet sind.

c.) Es wird ein öffentliches Register geführt über die Durchführung von klinischen Studien und Forschungsprojekten mit Menschen.

d.) Studienteilnehmer haben ein Recht auf Einsicht in die Gesuche und die Ergebnisse.

e.) Patientinnen und Patienten können sich an eine unabhängige Ombudsstelle wenden, die über die Einhaltung der Grundsätze wacht.

f.) Niemand darf zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt gezwungen werden.

g.) Forschung mit urteilsunfähigen und minderjährigen Personen ist nicht gestattet, ausser in Notfällen oder wenn das Forschungsprojekt eine Verbesserung ihrer Gesundheit oder einen Erkenntnisgewinn für die Erforschung oder Behandlung der Krankheit der betroffenen Person erwarten lässt.

h.) Der Bund setzt sich im Rahmen dieser Grundsätze für die Qualität, Transparenz und Förderung der Forschung mit Menschen ein.

3. Der Bund ergreift Massnahmen zur Durchsetzung des Patientenwillens und regelt insbesondere die Registrierung des Patientenwillens und den Zugang sowie den Schutz dieser Daten sowie die Schmerzbekämpfung für Sterbende, die Sterbebegleitung und -unterstützung sowie den Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen.

4. Der Bund regelt die finanzielle Unterstützung von unabhängigen krankheitsbezogenen Patienten- und Betroffenenorganisationen und ihrer Interessen aus Mitteln der Krankenversicherung.

5. Der Bund trifft Massnahmen zur finanziellen Unterstützung der Forschung im Bereich seltene Krankheiten und Kindermedizin aus Mitteln des Medikamentenverkaufs.

6. Der Bund erlässt Vorschriften über die Forschung mit Materialien menschlichen Ursprungs und beachtet dabei insbesondere die Interessen der Patienten, Spender und Empfänger sowie der Forschung und sorgt für die Achtung der Menschenwürde und die Einhaltung der Persönlichkeitsrechte der Spender und Betroffenen."

Ombudsstelle und nationales Studienregister

Der vorgeschlagene Verfassungsartikel "Patientenrechte" nimmt die zentralen Anliegen der Schweizer Patientencharta des Vereins patienten.ch auf und regelt auf Verfassungsstufe die Kompetenz des Bundes in den Grundsätzen. Der Geltungsbereich umfasst bewusst alle für PatientInnen relevante Bereiche von der Untersuchung, Diagnostik, Behandlung, Pflege und Wiedereingliederung und umfasst auch die Forschung mit Menschen und mit Materialien menschlichen Ursprungs.

Zu den zentralen Forderungen, die neu in den Verfassungsartikel über die Humanforschung aufgenommen werden sollen, zählt die Schaffung einer Ombudsstelle, ein nationales Studienregister sowie die Einsicht der PatientInnen in das Studiendesign, die Resultate der eigenen Behandlung und der Studie.

Erfassung und Durchsetzung des Patientenwillens

Der heutige Wirrwarr mit 16 verschiedenen Patientenverfügungen behindert die Durchsetzung des Patientenwillens statt ihn zu fördern. Der Verein patienten.ch hat ein umfassendes Modell für eine "Patienten-Vorsorge-Vereinbarung" entwickelt. Der vom Verein patienten.ch vorgeschlagene Verfassungsartikel "Patientenrechte" verleiht dem Bund die Kompetenzen zur Regelung des Patientenwillens und von Patienten-Vorsorge-Vereinbarungen sowie des Verzichts auf lebensverlängernde Massnahmen und insbesondere der Schmerzbekämpfung für Sterbende sowie der Sterbebegleitung und -unterstützung.

Anerkennung und Förderung der Patientenorganisationen

Die krankheitsbezogenen Patienten- und Betroffenenorganisationen leisten einen anerkannten und wertvollen Einsatz in der Aufklärung und Betreuung von Kranken und erblich belasteten Menschen und für das Gesundheitswesen, wie eine Studie des Gesundheitsobservatoriums ergeben hat. Eine Unterstützung und Stärkung der unabhängigen krankheitsbezogenen Patienten- und Betroffenenorganisationen sowie von Selbsthilfegruppen ist deshalb gesundheitspolitisch und aus der Optik der Patienten sinnvoll. Dies bestätigt auch eine Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums von Bernhard Borgetto zum Thema "Selbsthilfe und Gesundheit; Analysen, Forschungsergebnisse und Perspektiven in der Schweiz und in Deutschland." In den Schlussfolgerungen steht zur Rolle der Patienten- und Selbsthilfeorganisationen: "Die krankheitsbezogene gemeinschaftliche Selbsthilfe in der Schweiz und in Deutschland entwickelte sich in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend von einer emanzipatorischen und medizinkritischen Bewegung zu einem anerkannten und kompetenten Akteur in der Gesundheitsversorgung. Aus der Perspektive des Versorgungssystems liegt die Zukunft der Selbsthilfe sicher in ihrer weiteren Integration und damit darin, ihr Potenzial zu nutzen."

Mit einer Förderung und Unterstützung der Patienten- und Selbsthilfegruppen in der Schweiz könnten diese Ziele erreicht werden. Die finanzielle Unterstützung soll gemäss dem Vorschlag für einen Bundesverfassungsartikel über Patientenrechte aus Mitteln der obligatorischen Krankenversicherung erfolgen, durch eine Ausweitung des KVG-Artikels 19 auf die Unterstützung von unabhängigen krankheitsbezogenen Patienten- und Betroffenenorganisationen.

Forschung für seltene Krankheiten und Kindermedizin

Die Forschung für seltene Krankheiten und in der Kindermedizin soll gezielt unterstützt werden, da die Pharmaindustrie dieses Gebiet aufgrund der fehlenden finanziellen Anreize vernachlässigt. Das Publiforum "Forschung am Menschen" hat die Forderung aufgestellt, dass die Forschung für seltene Krankheiten und die Kindermedizin mit einem "Forschungsrappen" unterstützt werden soll. Der Verfassungsartikel Patientenrechte nimmt diese Forderung auf und verleiht dem Bund die Kompetenz, aus Mitteln des Medikamentenverkaufs eine Regelung zu treffen im Sinne des "Forschungsrappens". Von jedem beim Medikamentenverkauf verdienten Franken soll ein Rappen in die Forschung seltener Krankheiten investiert werden. Die Zu- und Verteilung dieser Mittel soll über die bestehenden Strukturen des Nationalfonds geregelt werden.

Eine "unvollständige oder irreführende Aufklärung" (Art. 10) ist kategorisch abzulehnen und steht in krassem Widerspruch zu den Menschenrechten und Persönlichkeitsrechten, wenn mündige Patienten über Forschungsprojekte aufgeklärt werden sollen. Denkbar ist eine unvollständige Aufklärung höchstens bei Kindern, deren Entwicklung noch nicht so weit vorangeschritten ist, um einen komplexen Sachverhalt zu verstehen. Eine irreführende Aufklärung ist in jedem Fall als klarer Verstoss gegen Menschen- und Patientenrechte zu qualifizieren. Der Artikel ist deshalb ersatzlos zu streichen. Ausnahmen für die unvollständige Aufklärung sind in den Artikeln über urteilsunfähige und unmündige Personen zu regeln.

Unabhängige, einheitliche Überprüfung auf Bundesebene

Die Überprüfung von Forschungsprojekten mit Menschen muss einheitlich auf Bundesebene erfolgen, wobei sicherzustellen ist, dass alle relevanten Interessen in dieser Instanz vertreten sind, insbesondere aus Wissenschaft, Forschung, Medizin und Patientenorganisationen. Föderalistische Lösungen sind ergänzend dazu denkbar, wenn es darum geht, welche Spitäler die Anforderungen auch umsetzen können.

Forschung mit urteilsunfähigen Personen

Die Zulassung für die Forschung mit urteilsunfähigen Personen muss verknüpft werden mit einem zu erwartenden Nutzen für die betroffene Person und die Forschung. Dabei hat eine Güterabwägung zwischen den zu erwartenden Risiken und den Chancen zu erfolgen. Entscheidend soll auch der mutmassliche Willen der urteilsunfähigen Person (zum Beispiel in Patientenvereinbarungen) oder bei Minderjährigen, abgestuft nach Alter, Meinungsäusserungen sein. Forschung mit urteilsunfähigen Personen ohne zu erwartenden Nutzen für den Studienteilnehmer oder die Forschung ist zu untersagen.


Für Rückfragen und ergänzende Auskünfte:
Conrad Engler, Sekretär Verein "patienten.ch"
Glockengasse 7, 4051 Basel
Tel. 061 268 99 99, Fax 061 268 99 98, Mobile: 079 444 81 40; www.patienten.ch / info@patienten.ch